aktiv NRW Nr. 2023.02

Köln/Nürnberg. Das Problem haben wir inzwischen wohl schon alle zu spüren bekommen – zum Beispiel, wenn man mal medizinische Hilfe oder einen Handwerker braucht: Sorry, bitte warten – Fachkräftemangel! Zum Jahreswechsel gab es hierzulande schon mehr als eine halbe Million freie Stellen, für die passende Bewerber fehlten – so eine detaillierte Berechnung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft. Und bis 2035 schrumpft nach allen Prognosen die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Im Extremfall um fast acht Millionen Leute – wenn uns keinerlei neue Zuwanderer zu Hilfe kommen. Die Bundesregierung arbeitet deshalb an einer umfassenden Fachkräftestrategie. Dazu gehört die Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Denn das erst 2020 in Kraft getretene Regelwerk, das qualifizierte Leute ins Land locken sollte, hat nicht richtig gezündet. Professor Herbert Brücker, Migrationsexperte am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), stellt fest: Die größte Hürde sei „die Anerkennung der Gleichwertigkeit beruflicher Abschlüsse.“ Auch seien die Verfahren viel zu bürokratisch. Das neue Gesetz soll die Einreise von Fachkräften und die nötigen Verfahren erleichtern. Mit einer „Chancenkarte“ soll man auch dann kommen dürfen, wenn der Berufsabschluss noch nicht anerkannt ist. Oder wenn man noch keinen Arbeitsvertrag hat – Jobsuche und Behördengänge sind vor Ort eben einfacher. Auch Einheimische, die bisher gar nicht oder nur wenig arbeiten, sollen mobilisiert werden Die Regierung will aber noch weitere Register ziehen. Vor allem geht es darum, auch Leute im Inland zu mobilisieren, die bisher gar nicht oder nur wenig arbeiten. Wie groß hier das Potenzial ist, hat das IAB kürzlich analysiert. Frauen seien immer noch weniger oft Gütersloh. Nie zuvor hatten junge Leute bessere Ausbildungschancen als heute. Zum Start das Lehrjahrs 2022/23 waren bundesweit noch rund 69.000 gemeldete Stellen unbesetzt. Auch in der seit Ende September laufenden „Nachvermittlung“ hat sich das Blatt nicht entscheidend gewendet. Darauf weisen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hin. Immerhin: Von den Schulabgängern mit Abi entschied sich zuletzt fast jeder Zweite für eine Lehre – ein neuer Höchstwert, wie die Bertelsmann-Stiftung meldet. „Von mangelnder Attraktivität einer Berufsausbildung für Abiturienten kann keine Rede sein“, betont der Bildungsforscher Dieter Dohmen. Auch die Verdienstchancen sind gut: Fachkräfte erhalten im Laufe des Berufslebens durchschnittlich 1,7 Millionen Euro. Das zeigt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Wer einen Meister-, Techniker- oder Fachwirtabschluss drauflegt, kommt auf rund 2,4 Millionen Euro. Und sogar noch mehr ist es in den MINT-Berufen, also den naturwissenschaftlich-technischen Jobs. Da kann ein großer Teil der Akademiker nicht mithalten. Dass zuletzt trotzdem jede achte Lehrstelle unbesetzt blieb, liegt auch daran, dass es insgesamt weniger Schüler gibt. Einen Lichtblick gibt es bei den Ausbildungsanfängern ohne deutsche Staatsangehörigkeit: Ihre Zahl stieg von gut 30.000 im Jahr 2008 auf zuletzt über 51.000. Das hat das Institut der deutschen Wirtschaft festgestellt. Dessen Expertin Sarah Pierenkemper rät: „Jugendliche mit ausländischen Wurzeln sollten in Sachen Ausbildung noch stärker in den Blick genommen werden.“ STEPHAN HOCHREBE berufstätig als Männer, vor allem Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, und auch bei den Älteren ließe sich die Erwerbsbeteiligung steigern. Laut IAB könnten wir 2035 mit diesem Potenzial immerhin rund 3,4 Millionen zusätzliche Erwerbstätige haben – das wären aber immer noch viel zu wenig, um die Lücken zu stopfen. Auch in Menschen mit Teilzeit- und Minijobs schlummert zusätzliche Arbeitskraft. Derzeit arbeiten fast 40 Prozent aller Beschäftigten Teilzeit, viele von ihnen würden gerne mehr arbeiten. Das ungenutzte Potenzial summiert sich hier laut IAB auf 1,4 Millionen potenziell besetzte Vollzeitstellen. Die Wirtschaft setzt große Hoffnung in die neue Fachkräftestrategie. Es brauche auch bei diesem Thema eine schnelle Zeitenwende, fordert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger: „Deutschland kann nicht so weitermachen wie bisher.“ BARBARA AUER Zuwanderung: Ja, bitte! Fachkräfte Eine halbe Million gute Leute fehlt bereits jetzt – und bald kommt es noch viel dicker. Die Bundesregierung hält mit einer umfassenden Strategie dagegen Ob im Handwerk oder in der Industrie: Viele Betriebe suchen gute Leute. Chancen für Berufsstarter gut wie nie Ausbildung Zahl der Lehrstellen übersteigt die Zahl der Bewerber deutlich 69.000 freie Plätze zum Start des Lehrjahrs Quelle: Bundesagentur für Arbeit Deutlich weniger Arbeitskräfte Das deutsche Erwerbspersonen- potenzial (in Millionen Menschen) 2021 2035 43,5 51,4 Bevölkerung im Alter von 20 bis 66 Jahren, Prognose ohne Netto- zuwanderung; Quelle: Statistisches Bundesamt aktiv FOTO: ROBERT KNESCHKE – STOCK.ADOBE.COM 6 aktiv 18. März 20232

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