aktiv NRW Nr. 2023.02

zwei bis sechs Wochen. Danach ging es mir wieder monatelang besser.“ Das Schlimmste sei immer der Beginn einer depressiven Phase gewesen: „Am Tiefpunkt war ich dann so antriebslos, dass ich nur noch funktioniert habe.“ Dass die promovierte Chemikerin das Auf und Ab ihrer schweren Depression heute hinter sich hat, verdankt sie einem mutigen Schritt: Als sie 2015 einen Zusammenbruch erlitt, ging sie am nächsten Tag zu ihrer Hausärztin. Berichtete von ihrer Traurigkeit, den Versagensängsten, dem Gefühl der Überforderung. Die Medizinerin überwies Halter in eine stationäre Therapie. Durch die Klinik und die nachfolgende Behandlung habe sich ihr Leben gedreht, sagt Halter: „Ich hatte großes Glück.“ Das haben leider nicht alle Depressionspatienten. Immer noch wird ein Großteil der Suizide in Deutschland von der Krankheit verursacht. Depressionen und andere psychische Leiden sind der Deutschen Rentenversicherung zufolge für fast 42 Prozent der Erwerbsminderungsrenten verantwortlich. Und laut einer Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe wurde das Krankheitsbild bereits bei jedem fünften Beschäftigten schon einmal diagnostiziert! Depressionshilfe-Vorstand Professor Ulrich Hegerl ist sich sicher: „Statistisch gesehen gibt es in nahezu jedem Unternehmen depressiv erkrankte Mitarbeiter.“ Von außen ist die Krankheit nur schwer zu erkennen Das spiegelt sich auch im Krankenstand der Betriebe: Hier belegt die Depression seit Jahren den Spitzenplatz bei den krankheitsbedingten Ausfallzeiten. Laut einer Auswertung der Techniker Krankenkasse waren es 2021 allein bei ihren rund elf Millionen Versicherten knapp sieben Millionen Fehltage. Tückisch ist, dass die Erkrankung oft lange Zeit nicht auffällt. „Ich hatte auch in den schlimmsten Phasen nie Fehlzeiten“, sagt Claudia Halter. Kollegen hätten also kaum eine Chance gehabt, ihre Depression zu erkennen. Als Außendienstlerin war sie nur selten im Büro. Und wenn, dann habe sie ihre Stimmung gut versteckt. „Dass ich zu Hause nur auf dem Sofa liegen konnte, hat im Unternehmen niemand mitgekriegt.“ Im Arbeitsalltag einer psychischen Störung etwas entgegenzuhalten, sei extrem schwierig, sagt auch Psychiater Hegerl. „Bei einer Suchterkrankung weiß man, was zu tun ist, wenn etwa jemand mit einer Alkoholfahne in die Firma kommt.“ Bei der viel häufigeren Depression dagegen fehle es oft an Wissen. „Mit Kursen zur Stressreduktion verhindert man die Krankheit nicht. Denn Depression ist keine Folge von Überlastung“, erklärt Hegerl (mehr dazu im Interview rechts). Auch Halter glaubt nicht, dass sie ein Achtsamkeitstraining vor dem Absturz in die Krankheit bewahrt hätte. Dafür lagen die Probleme zu tief. Schon Augsburg. Am Nachmittagshimmel über Augsburg hängen dunkle Wolken. Ein kalter Wind pfeift durch die Gassen, und jetzt fängt es auch noch an zu regnen! So ein Schmuddelwetter macht depressiv, könnte man flapsig behaupten. Claudia Halter würde so etwas nie sagen. Denn die 44-Jährige weiß, wie sich eine Depression anfühlt. Und dass das rein gar nichts mit dem Wetter zu tun hat. Jeder fünfte Beschäftigte hatte schon eine Depression Halter sitzt beim Gespräch mit aktiv in einem Café an der Augsburger Ulrichskirche, nippt an einer heißen Schokolade und sagt: „Wenn bei mir eine akute Phase der Depression anfing, war das so, als wenn man mit einem Auto auf den Grand Canyon zurast: Man sieht die Schlucht, aber man weiß, das Auto hat keine Bremsen.“ Seit ihrer Kindheit habe sie immer wieder solche Episoden erlebt. „Meist dauerten die Vorsorge Depressionen haben schlimme Folgen: Wegen keiner anderen Krankheit gibt es mehr Suizide, Fehltage und Frühverrentungen. Claudia Halter, selbst betroffen, will in ihrem Betrieb dazu beitragen, dass möglichst früh geholfen wird „Wie ein Sturz in den Grand Canyon“ Inzwischen kann sie wieder lachen: Claudia Halter litt seit der Kindheit unter Depressionen. Eine Therapie brachte die Bayerin wieder ins Leben zurück. 12 aktiv 18. März 2023 Thema Psychische Erkrankungen

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