aktiv NRW Nr. 2024.05

27. Juli 2024 | aktiv 3 Konjunktur Dauerkrise in Deutschlands Schlüsselbranche Metall + Elektro Die Auftragslage wird laufend schlechter – in vielen Betrieben gibt es zu wenig zu tun. Eine Einordnung FOTOS: KOI88 – STOCK.ADOBE.COM, VERFREMDUNGS- EFFEKT: AKTIV; GESAMTMETALL (PORTRÄT) VON NADINE KEUTHEN Deutschlands wichtigster Industriezweig steckt in der Krise fest: die Metall- und Elektro-Industrie (M+E), in der fast vier Millionen Menschen arbeiten. Die Produktivität liegt 15 Prozent unter der von 2018, seit 2021 geht das Volumen neuer Aufträge wieder laufend zurück. Den Unternehmen fehlen zunehmend geeignete Fachkräfte, während sie mit immer neuen bürokratischen Pflichten belastet werden. aktiv sprach darüber mit Lars Kroemer, dem Chefvolkswirt des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Ist diese Dauerflaute anders als frühere Krisen? Ja: „Im Gegensatz zu anderen Aufs und Abs der letzten Jahrzehnte haben wir ernste strukturelle Probleme“, ordnet Kroemer ein. Die M+E-Branche befinde sich in einer ungebremsten Rezession, für eine Besserung gebe es keine Anzeichen. Kroemer nennt Zahlen für Januar bis Mai 2024: Produktion – minus 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, Absatz – minus 5,9 Prozent, Auslastung – minus 3 Prozent. Die Qualität des Wirtschaftsstandorts hat nachgelassen – dazu kommt „wirtschaftspolitischer Gegenwind“ Dabei ist die M+E-Industrie mit einem Jahresumsatz von rund 1,4 Billionen Euro die Schlüsselindustrie für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. „Wenn es um globale Megatrends wie etwa Energiewende, Digitalisierung, Mobilität oder Automatisierung geht, da brauchen wir überall die Lösungen aus der M+E-Industrie. Und trotz dieser Dringlichkeit können wir leider keine steigende Produktion beobachten“, sagt Kroemer. Für den Ökonomen tragen nicht zuletzt zunehmende Bürokratisierung, fehlende Technologieoffenheit, hohe Steuern und generell „wirtschaftspolitischer Gegenwind“ eine Mitschuld daran, dass M+E nicht aus der Krise kommt. „Im internationalen und europäischen Vergleich haben die M+E-Firmen ihre Wettbewerbslage noch nie so schlecht eingeschätzt“, warnt Kroemer. Die überdurchschnittlichen Arbeits- und damit auch Lohnstückkosten seien da zwar auch ein Faktor, allerdings: „Produktion in Deutschland war immer schon teuer. Doch das konnten wir bisher durch gute und stabile Rahmenbedingungen des Standorts kompensieren. Genau diese Stärke verlieren wir momentan.“ Die marode Infrastruktur zum Beispiel oder die Defizite in der Bildung fallen den Unternehmen nun auf die Füße – und müssen teuer kompensiert werden. Etwa durch Umwege bei der Auslieferung von großen Anlagen. Oder durch Weiterbildungsmaßnahmen potenzieller Fachkräfte, die keinen Schul- oder Berufsabschluss mitbringen. Speziell im Maschinenbau seien die Aufträge aus dem Inland eingebrochen, stellt Kroemer fest – „weil das Vertrauen der Wirtschaft in den Standort Deutschland verloren geht“. Um die Produktivität zu steigern, seien normalerweise hohe Investitionen nötig, erklärt Kroemer weiter. Doch die Unternehmen sehen sich mit immer neuen Auflagen konfrontiert: „Die finanziellen und personellen Ressourcen, die eigentlich dringend im produktiven Bereich benötigt würden, werden für unproduktive bürokratische Aufgaben eingesetzt – also fehlgeleitet.“ Ist vielleicht auch der internationale Wettbewerbsdruck auf die Branche einfach zu groß? „Nein“, sagt Kroemer entschieden. „Dieser Druck war immer schon hoch! Rund 80 Prozent der gesamten Forschungsaufwände in der Industrie finden im M+E-Bereich statt. Innovation war schon immer unsere Stärke.“ Und dem globalen Wettbewerb entgegne man am besten mit Innovationen. Eine Voraussetzung dafür ist freilich Technologieoffenheit – die jedoch in den letzten Jahren durch wirtschaftspolitische Entscheidungen enorm eingeschränkt wurde. „Wenn die Politik glaubt, sie könne den Umgang mit Technologien oder Produkten vorschreiben – Beispiel Verbrennermotor –, verunsichert das Unternehmen und Kunden gleichermaßen und hemmt letztendlich Innovationen und Investitionen.“ Übrigens: Auch in den anderen Industriezweigen ist die Lage nicht rosig. Im Mai 2024 war die gesamte deutsche Industrieproduktion 7,3 Prozent geringer als im Mai des Vorjahrs. Das meldete Anfang Juli das Statistische Bundesamt. Auftragseingang der Metall- und Elektro-Industrie (Index) Durchschnittswert der jeweils letzten drei Monate; Quelle: Gesamtmetall aktiv „ Im internationalen und europäischen Vergleich haben die M+E-Firmen ihre Wettbewerbslage noch nie so schlecht eingeschätzt Lars Kroemer, Chefvolkswirt Gesamtmetall 97,4 Januar 2018 50,6 April 2020 109,5 Juli 2021 81,2 Mai 2024

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